YARA - die deutsch-brasilianische Oper

"y-îara" – über die Entstehung einer brasilianischen Legende

Der letzte Moment des Ipupiàra von Sao Vicente
Der letzte Moment des Ipupiàra von Sao Vicente

Beschäftigt man sich mit der Legende, die der Oper YARA zugrunde liegt, stößt man auf Wesen aus der Mythologie der Tupi (die im 16. Jh. bis an die Küsten Brasiliens gelebt haben). Von einer Meerjungfrau ist keine Rede. Doch hören wir von einem Wasserwesen namens Ipupiàra oder Hipupiàra – abgeleitet von Ypupîara (Tupi): "was im Wasser ist". Das y soll dabei für Wasser im Sinne von "Fluss" bzw. "See" und das pupé für "in" und ygûara für "Bewohner" stehen. Die stets hungrigen und brutalen Ipupiàra sollen Menschen durch eine kräftige Umarmung innerlich zum Zerplatzen gebracht haben. Oder aber – so heißt es auch – töteten sie, indem sie ihre Opfer auf den Grund des Flusses zogen. Von den scheinbar unversehrten Körpern sollen sie dann wahlweise die Augen, die Nase, Finger oder das Genital verschlungen haben.

 

1564 wurde ein Ipupiàra von Capitão Baltazar Ferreira an der Küste von São Vicente gefunden und getötet. So der Bericht des Chronisten Pero de Magalhães Gândavo in seiner "História da Província de Santa Cruz". In den "Memórias da Villa de Cananea" ist zu lesen, dass 1733 vor der Stadt ein Ipupiàra... "ein böses Ding, das auf dem Wasser geht" von Pedro Tavares und seinen Kameraden gejagt und getötet worden sein soll. 

Kulturelle Hybridisierung durch europäische Kolonialisierung

Briefmarke – Sonderausgabe (1974 )
Briefmarke – Sonderausgabe (1974 )

Im 18. Jh. entstand bald (in den Worten des bekannten brasilianischen Volkskundlers Câmara Cascudo) eine Art "romantische Reaktion", die aus der Verschmelzung eben jenes Ipupiàra mit der afrikanischen Iemanjá/Yemayá und der europäischen Meerjungfrau alsbald die Legende der schönen, jungen y-îara hervorbrachte.

y-îara ... Iara/Uiara/Yara/Hiara ... gilt ungeachtet dessen heute ebenso als Teil der Tupi-/Guaraní-Mythologie. Das y soll dabei wieder für Wasser im Sinne von "Fluss" bzw. "See" und das îara für "Herr" bzw. "Herrin" stehen. Ergo: "Mutter des Wassers".

 

Folgen wir den volkstümlichen Beschreibungen, hat y-îara entweder schwarzes oder grünes Haar, dazu die hellbraune oder gar Kupfer-farbene Haut einer Indigenen bzw. einer "Caboclo" (portugiesisch aus der alten Tupi-Sprache kaa'boc = "von Weißen herkommend"... also ein Kindes aus der Vereinigung von Indigenen mit europäischen Einwanderern:innen), dazu braune Augen und einen Fisch-ähnlichen Schwanz. Dieses Bild ist heute auch wieder vorherrschend. Ab der 2. Hälfte des 19. Jh. wurde y-îara aber viele Jahre lang wie eine europäische Meerjungfrau mit blondem Haar und klaren Augen beschrieben. So auch im Gedicht "A Iara" von Olavo Bilac, der bis 1919 lebte.

 

y-îara soll zumeist auf einem Flussfelsen sitzen, ihr Haar kämmen oder sich in der Sonne räkeln. Nachts – besonders in mondbeschienenen Nächten – soll sie gut, schön und berührend singen. Ist ein Mann in der Nähe, soll sie ihn durch ihren unwiderstehlichen Gesang in ihren Bann ziehen... manche sollen dann alleine schon an ihrer Leidenschaft für sie sterben. Andere soll sie mit sich unter Wasser ziehen. Dabei ertrinken vermutlich einige. Oder aber sie dürfen am Grunde des Flusses eine kurze Liebesbeziehung mit ihr führen. Zurück an der Oberfläche sterben sie dann entweder an der Liebe, oder sie werden verrückt und können nur durch ein spezielles Ritual (das von einem Schamanen durchgeführt werden muss) geheilt werden.

 

Angeblich konnten ihr einige Männer widerstehen, indem sie die Augen geschlossen und die Ohren bedeckt gehalten haben. Diese Männer sollen allerdings auch wieder verrückt geworden... oder mit Zahnabdrücken am Hals aufgefunden worden sein.

 

Anderen Überlieferungen zufolge erschlägt und ertränkt y-îara die Männer auch einfach nur.

 

Aber warum das alles?

 

y-îara war nicht immer schon eine Meerjungfrau. Im Gegenteil, der Legende nach soll sie als ganz normales Mädchen in einen patriarchalischen Stamm hineingeboren worden sein. Als Jugendliche bzw. junge Frau musste sie viel und hart gearbeitet haben, sehr mutig und dazu eine geschickte Kriegerin gewesen sein. Dadurch dürfte sie sich zwar den Respekt und Bewunderung ihres Vaters, eines pajé ... eines "Schamanen" wie auch großen Teilen ihres Stammes erworben haben. Einige jedoch ... darunter ihre Brüder ... sollen ob ihres Erfolges neidisch gewesen sein. Also versuchten diese, ihre Schwester zu töten. Nun, y-îara wusste sich freilich gut zu wehren... wobei sie allerdings (versehentlich?) ihre Brüder tötete.

 

Als ihre Tat entdeckt wurde, flüchtete sie, wurde aufgrund der unbarmherzigen Suche ihres Vaters jedoch gefunden und schließlich am "Encontro das Aguas" (dort wo der Rio Solimões/Amazonas und der Rio Negro zusammenfließen) getötet. Wir wissen nicht genau, ob sie dort ertränkt oder zuerst getötet und alsdann ihre Leiche in den Fluss geworfen wurde. Was wir jedoch wissen ist, dass einige Fische (oder vielleicht sogar Jaci, die Nachtgöttin selbst ) sie im Fluss fanden und ihren Körper wieder an die Oberfläche brachten, wo er in das Licht des Vollmondes getaucht wurde, was sie in in die legendäre y-îara verwandelte...


Martin Stock, Mäder – November 2022

Der Komponist Josef Anton "Pepi" Prantl