In einer weiteren Ebene der Oper YARA muss man sich – bezugnehmend auf die Uraufführung 1936 in Joinville – mit den Hintergründen des Komponisten selbst befassen. Welche Zusammenhänge zwischen dem Komponisten, seiner geschichtlichen Umgebung und seiner Oper bestehen, kann man den biographischen Angaben entnehmen; doch auch dieser Part wird sicherlich in Zukunft noch zu vervollständigen sein.
Von der Original-Komposition liegt ein mit rot-braunem Ganzleinen gebundener Klavierauszug im Archiv der Familie Prantl in Österreich. Da von Pepi Prantl hier auch zahlreiche Änderungen und Ergänzungen eingetragen wurden, diente er vermutlich zur Einstudierung der Sänger:innen und des Orchesters, als Grundlage zur Orchestrierung und zum Dirigat der Aufführungen.
Auch finden sich hier die (gebundenen) Orchesterstimmen – vom Bass bis hin zur Violine. Dies natürlich handgeschrieben in schwarzer Tinte auf mittlerweile vergilbten Notenblättern teils unterschiedlicher Herkunft. Datiert und unterschrieben von Pepi Prantl.
Folgt man dem originalen Klavierauszug, hat Pepi Prantl (vermutlich gemeinsam mit Jorge Wucherpfennig – der für die Regie verantwortlich zeichnete) in der Vorbereitung zur Probenarbeit einige wichtige Veränderungen in der Handlungsstruktur durchgeführt, damit aus dem an sich schwachen und wirren Libretto eine aufführungsfähige Oper inszeniert werden konnte.
Dennoch: zahlreiche Hintergründe und Anspielungen der eigentlichen Handlung in Bezug auf literarische Vorbilder müssten auch in der Uraufführungs-Version noch immer sehr aufwändig recherchiert und geklärt, verwendete Symbole und historische Gegebenheiten dokumentarisch erläutert werden. Das Verständnis des bereits bearbeiteten, aber an sich noch immer sehr schwachen Librettos erschließt sich ausschließlich vor dem historischen Hintergrund der Geschichte deutscher Siedler im brasilianischen Bundesstaat Santa Catarina.
Thomas Hennig, Berlin – Juni 2007
Die Komposition hingegen ist handwerklich gut gemacht, wenngleich sie fern von den Avantgardismen der damaligen zeitgenössischen Musik (und historisch gesehen auch alles andere als "neu") ist.
Die Stärken der Musik – insbesondere das Melos der gesanglichen Phrasen, die Instrumentierung und der spätromantische, ausschweifend modulatorische Tonsatz – überwiegen und entschädigen deshalb für Passagen, die etwas unbefriedigend bleiben. Ein untrüglicher Instinkt für die Musiktheater betreffende dramaturgische Stringenz hält den Zuhörer gefangen und lässt ihn aufmerksam bleiben. Es wird in der Oper keine Zeit vergeudet und nichts in die Länge gezogen. Zudem erreicht es der Komponist immer wieder, durch berührende Momente die nicht ganz unproblematische Erzählweise der Handlung frisch zu halten.
Die Oper spielt in einer Urwaldlichtung mit Rancho (einer Hütte) nahe des Rio Tibagy in Paraná. Als Zeit der Handlung wurde die nahe Vergangenheit angegeben (1931/1932), die handelnden Personen entstammen jedoch einer anderen Welt als der damals realen. Die Titelheldin Yara ist eine Indigene, die Deutung des Wortes "Yara" in der Sprache der Guaraní reicht von "Frau" und "Herrin" bis zu "Mutter des Wassers".
Yara, y-îara... oder... ?
Mit der realen Figur der Yara verbindet Nohel und im besonderen Prantl eine Sagengestalt, die bei Monteiro Lobato als Königin der Wasserfälle eine literarische Form fand. Ohne auf dieses literarische Vorbild einzugehen, charakterisieren Prantl und sein Librettist Otto Adolf Nohel diese Figur als Indigene sehr nahe an der Gestalt der Wassernymphe y-îara, die in den Wäldern St. Cathreins beheimatet ist. Und mit ihrem langen (zu dieser Zeit wahrscheinlich blonden) Haar und ihrem exotischen Wesen die Männer verführt – entweder zu deren Schaden oder aber inspirierend zu neuen Abenteuern.
Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich hinter der wilden und temperamentvollen Yara eine brasilianische Loreley verbirgt. Dieser Eindruck wird verstärkt durch den Eingriff Prantls in das Libretto des 2. Aktes. Der Schluss bestätigt den Sagencharakter der Bühnenfigur und gesellt der eigentlich menschlichen Gestalt eine übermenschliche, mythische hinzu. Und als solche symbolisiert sie das exotisch Verführende der neuen Heimat Brasiliens für die deutschen Einwanderer, die den Gefahren der ungewohnten natürlichen Umgebung erlagen oder aber sich von dieser inspirieren ließen.
Maia, Rolf und Gefolge
Die Annahme der Akademie ‚Brasil-Europa’, der Name Maia – ein ausgesprochen untypisch deutscher Name – wäre auf "Mãe das Aguas" zurück zu führen, scheint plausibel und würde mit den oben angeführten Eigentümlichkeiten der Titelfigur korrespondieren, der Yara gewissermaßen ein deutsches Äquivalent geben.
Das europäische Personal der Oper ist aus adeligem Hause. Rolf ist Graf und Maia Prinzessin aus fürstlichem Geblüt. Die märchenhaften Züge ihrer Herkunft entheben sie der europäischen Zeitgeschichte, ein Hauch Mittelalter färbt die Aura der unglücklichen Tiroler. Kein Wunder, dass Yara im dritten Akt eine Parallele zieht zwischen den Jahrhunderte alten Mythen ihrer brasilianischen Geschichte und dem urdeutschen Mythos des Nibelungenhorts.
Thomas Hennig, Berlin – Juni 2007
Das einzige, was Rolf und Maia irdisch werden lässt, ist ihre Liebesgeschichte: eine Studentenliebe, die tragisch endet. (Natürlich war nur Rolf ein Student, weibliche Studenten kennen die Autoren der Oper noch nicht.) Maia wird jedenfalls untreu! Nicht aus Liebe... geht sie eine Affäre ein, die ihr später zum Verhängnis wird, ein Seitensprung mit fatalen und irreparablen Folgen.
Geisterwesen
Waldgeister, Gnome und Elfen gibt es überall auf der Welt, über die Eigentümlichkeit der Rolle des ‚Bubu’ lässt sich hingegen sehr viel spekulieren, ich habe über seinen Kontext leider nichts herausgefunden, noch eine diesbezügliche regionale oder überregionale Tradition erkunden können.
Im Programmheft ist er als Bubo aufgeführt. Es gab zwar um 2380 v. Chr. einen König Bubu in der sumerischen Stadt Umma (Süd–Mesopotamien), ich kann jedoch schwerlich irgendeine Parallele entdecken.
Der Uhu trägt als wissenschaftlichen Namen "Bubo bubo" ... und es gibt viel Aberglaube rund um Eulen. Etwa als Hexen- und Teufelsvogel, als Unglücksboten... aber auch als Glücksbinger und Symbol der Weisheit. Dass die meisten Gattungen nachtaktiv sind, könnte die Eule zudem noch für die Rolle des Bubu empfohlen haben.
Und schließlich taucht der Name Bubu auch schon mal als Synonym für Vater oder Großvater auf. Die letzten beiden Möglichkeiten würden uns am ehesten weiter bringen können. Ich denke jedoch, dass es am besten wäre, "Bubu" einfach für sich stehen zu lassen und jegliche Herkunftsrecherche zu meiden.
Nebenfiguren und Chor
Bei den Randfiguren des Geschehens: der alte Alemão (die Rolle ist so klein, dass sie vom Regisseur der Uraufführung übernommen werden konnte), den Garimpeires Roman, Grass und Papa Fritz handelt es sich vielleicht um Personen, die eine reale Entsprechung der Zeitgeschichte mit einer gewissen regionalen Bedeutung hatten, vielleicht handelt es sich um Anspielungen, die wir heute nur noch schwer nachvollziehen können. Immerhin zeugen die Namen von unterschiedlicher sprachlicher oder gesellschaftlicher Herkunft.
Im Chor schließlich finden wir Colonos, Garimpeiros, Caçadores und eben Nymphen (Elfen) und Gnome. Die letzte Gruppe hat auch zu tanzen, wobei die Melodien der Elfen teilweise auf brasilianischen Kinderliedern basieren.
Josef "Pepi" Prantl kam im Oktober 1929 nach Brasilien. In Deutschland – wo er sich zuvor aufgehalten hat – fand er keine Arbeit und wurde gewissermaßen nach Brasilien "gelockt". Im Bundesstaat Santa Catarina (damals auch St. Cathrein genannt) fand er, wie verheißen, schnell Arbeit als Konzertpianist, Chorleiter, war Mitbegründer eines Konservatoriums und wurde schließlich Leiter eines Liebhaberochesters in der Harmonie-Lyra.
Das Bestreben dieses "Kulturzentrums" war es, den deutschen Siedlern eine Stätte der kulturellen Entfaltung zu geben und auch einen Platz zu schaffen, der ihrer Identitätssuche in Brasilien gewidmet war. Diese hatte freilich nichts gemein mit der "Deutschtümelei" oder dem Nationalismus, wie wir ihn zu dieser Zeit in Deutschland selbst hätten beobachten können.
Im Gegenteil: Es wurde lange verwischt, dass sich Deutsche in einem zunächst fremden Siedlungsgebiet und nicht in einer von deutschen Machtansprüchen besetzten Kolonie aufmachten, sich einen neuen Lebensraum zu gestalten. Was kulturell und künstlerisch dabei herauskam, war bald eine spannende Mischung aus deutschem Erbe und unkonventionellen Ansätzen aus einer neuen, bereits lieb gewordenen Heimat.
Auch in Prantls Oper ist diese Identitätsfindung spürbar: Zu der liebevollen Erinnerung an seine alte Heimat Tirol (bzw. deutsche Vergangenheit) gesellt sich direkt danach in emotional ungebremster Form eine fast überschwängliche musikalische Liebeserklärung an Brasilien, das neue faszinierende Land, die exotische neue Heimat. Das stand stellvertretend für viele seiner Mitmenschen im damaligen Joinville, was den rauschenden Erfolg der Aufführungen zu erklären vermag.
Die Geschichte erzählt eine Liebesgeschichte zwischen Rolf, einem Deutschen der aus seinem Geburtsland floh und der Indigenen Yara. Rolf wird von seiner Vergangenheit eingeholt und muß sich entscheiden, ob er zu seiner alten Liebe "Maia" zurückkehrt oder bei Yara bleibt. Er wird bleiben und sich für Yara entscheiden, ein verhängnisvoller Ausgang der Oper.
Auch für seinen Komponisten und seine Karriere...
Nohel beendete 1930/31 sein Libretto und reiste aus Indaial (in der Nähe von Blumenau) nach Joinville, um die Realisierung der Oper voran zu treiben. Ein tötlicher Unglücksfall auf dieser Reise ließ die eigentliche Planung der Uraufführung im Januar 1932 platzen.
Prantl arbeitete das Libretto bis 1935 gründlich um. Doch erst am 17. Januar 1936 konnte die Oper YARA in Joinville uraufgeführt werden. Weitere Aufführungen gab es nur noch in Curitiba. Geplante Aufführungen in Blumenau, São Paulo und Rio de Janeiro kamen nicht zustande.
Parteiorganisationen der Nationalsozialisten bestärkten Prantl verbal, ohne jedoch die eigentlichen Hintergründe der Oper zu kennen oder sie gar zu akzeptieren. Die musikalische Arbeit und der künstlerische Erfolg sollte instrumentalisiert werden, was jedoch nicht gelang. Tatsächliche Unterstützung fand Prantl dann aber doch nicht, sodass er sich letztlich entschloss, Anfang 1937 nach Deutschland zurückzukehren um dort – erfolgreich – fortzufahren, wo er in Brasilien gescheitert war.
Thomas Hennig, Berlin – Juni 2007